Die Präambel wird diskutiert

Indigene Bevölkerungen und Frauenrechte standen am ersten Tag der Verhandlungen für ein Nuklearwaffenverbot am Donnerstag im Mittelpunkt der Diskussionen. Vielen mögen solche Themen im Rahmen dieser Verhandlungen ungewöhnlich vorkommen. Denn bei anderen multilateralen Treffen rund um das Thema Nuklearwaffen ist meist die Rede davon, dass Nuklearwaffen „Sicherheit“ und „Stabilität“ leisten. Dabei wird angenommen, dass Sicherheit und Stabilität nichts mit gelebten Erfahrungen derer, die über Jahre unter der Herstellung, dem Testen und dem Einsatz von Nuklearwaffen leiden, zu tun hätten. Das Nuklearwaffenverbot – als Prozess und als Vertrag – ist dabei, diese Auffassung zu ändern.

Erstens, stützt sich der Vertrag auf gelebte Erfahrungen. Die drei Konferenzen über die humanitären Folgen von Nuklearwaffen, die zwischen 2013 und 2014 von Norwegen, Mexiko und Österreich organisiert wurden – und von denen sich dieser Vertrag ableitet – konzentrierten sich hauptsächlich auf die Art und Weise, wie Nuklearwaffen Menschenleben vernichten und die Umwelt zerstören.

Zweitens, wurden die Erfahrungen Indigener sowie Genderperspektiven von Anfang an in den Diskurs dieses Verhandlungsprozesses aufgenommen. Überlebende von Nuklearwaffentests und kleineren nuklearen Versuchen in Australien und auf den Pazifikinseln nahmen bisher an jedem Treffen über das Nuklearwaffenverbot teil: von Konferenzen zu humanitären Folgen, über offene Arbeitsgruppen in Genf bis hin zum Ersten Ausschuss der UN-Generalversammlung 2016 und jetzt diesen Verhandlungen selbst. Frauen und Personen sexueller Minderheiten weltweit haben viele der prominentesten zivilgesellschaftlichen Organisationen, die sich für ein Nuklearwaffenverbot einsetzen, geleitet und waren auch in mehreren Regierungsdelegationen, die dieses Thema verfechten, vertreten.

Besonders von der Zivilbevölkerung hat es durchgehend zahlreiche Anstrengungen gegeben, um die inhärenten Schnittpunkte zwischen Angelegenheiten rund um Abrüstung, Gender- und Rassengerechtigkeit sowie wirtschaftliche Gerechtigkeit zu betonen und diese Thematiken stark in den Prozess des Nuklearwaffenverbotes einzubinden. Dies hat sich, besonders für die Glaubwürdigkeit des Prozesses als sehr wichtig erwiesen. Regierungen, wie auch die Zivilbevölkerung wurden unaufhörlich mit Vorwürfen zur „Exklusivität“ in der Entwicklung dieses Vertrages konfrontiert. Tatsächlich ist dies wahrscheinlich der umfassendste Prozess zu Nuklearwaffen, den die Vereinten Nationen je erlebt haben. Jeder ist berechtigt, daran teilzunehmen. Die Tatsache, dass gewisse Staaten (meistens aus dem reichen Norden) sich gegen eine Teilnahme entschlossen haben, hat in vielerlei Hinsicht dazu geführt, dass die Stimmen des globalen Süden nicht mehr unterdrückt, sondern viel stärker zur Kenntnis genommen werden. Weiterhin wurde durch diese Teilnahmeverweigerungen mehr Flexibilität in Bezug auf die Beteiligung der Zivilbevölkerung geschaffen, welche im bisherigen Prozess extrem aktiv und willkommen gewesen ist.

Dies soll keinesfalls bedeuten, dass der Prozess makellos ist. Es fehlt noch immer die aktive Beteiligung vieler, dauerhaft unterrepräsentierter ethnischer Gruppen. Zivilgesellschaftliche Organisationen, die sich mit dieser Thematik beschäftigen sind meist überwiegend von Weißen dominiert und kommen aus westlichen Staaten. Zudem sind in den Gesprächen Männer weiterhin das stärker vertretene Geschlecht, besonders auf Seiten der Regierungen. Nur 23, der 95 Beiträge, die am Donnerstag durch Regierungen gemacht wurden, wurden von Frauen vorgetragen. Das sind lediglich 24% – weniger als ein Viertel. Von den 35 Delegationen, die am Donnerstag in den Verhandlungen sprachen, wurde die Rede bei ausschließlich 12 Delegationen von einer Frau gehalten. Das entspricht nur 34%.

Dieses andauernde Problem ist ausschlaggebend für den Vorschlag einiger Delegationen, in der Präambel des Verbotsvertrages nicht nur die physischen Auswirkungen von Nuklearwaffen auf die Gesundheit von Frauen zu erwähnen sondern auch die Notwendigkeit einer effektiven und gerechten Verteilung der Beteiligung von Frauen in Abrüstungsforen. Der Verbotsvertrag soll die starke Unterrepräsentation der Frau in der nuklearen Abrüstung erwähnen und aktiv unterstützen. Dabei kann auf folgenden Ausführungen Bezug genommen werden: die Resolution 1325 des UN-Sicherheitsrates über Frauen, Frieden und Sicherheit, die Resolution 71/56 der UN-Generalversammlung über Frauen, Abrüstung, Nichtverbreitung und Waffenkontrolle oder die faktbezogene Zusammenfassung des Vorsitzenden der Konferenz des Nichtverbreitungsvertrages von 2017 (welche die Staaten dazu ermutigt, aktiv die Beteiligung von Frauen in ihren Delegationen und durch Förderungsprogramme zu unterstützen) .

Es ist auch unabdingbar, dass der Vertrag die geschlechtsspezifischen Auswirkungen von Nuklearwaffen genau widerspiegelt. Obwohl die gegenwärtigen Ausführungen in der Präambel zu begrüßen sind, spiegeln sie nicht ausreichend die unzähligen Möglichkeiten wider, durch die Herstellung, Testen und den Einsatz von Nuklearwaffen sich unverhältnismäßig auf Frauen auswirken. Die gesundheitlichen Auswirkungen ionisierender Strahlungen sind gravierend, aber darüber hinaus sind Frauen auch physisch anfälliger für radioaktive Strahlungen und sind ihnen sozial stärker ausgesetzt. Ausschließlich Frauen und Mädchen erlebten eine soziale Stigmatisierung als Folge der Strahlenbelastung.

Während im Vertragsentwurf wenigstens eine Annäherung an diese Problematik im Hinblick auf geschlechtsspezifische Auswirkungen zu erkennen ist, fehlt derzeit die Erwähnung der unverhältnismäßigen Auswirkungen auf indigene Bevölkerungen. Vielerorts sind indigene Gruppen aufgrund rassistischer und kolonialer Politik und Einstellungen, Leidtragende der Nuklearwaffentests geworden. Seit 1945 hat es weit über 2 000 explosive nukleare Tests und „kleine Versuche“ an weltweit mehr als 60 Orten gegeben. Diese Orte sind bis heute radioaktiv verseucht. Solche Versuche haben ebenfalls Auswirkungen auf stromabwärts und in Windrichtung gelegene Bevölkerungsgruppen, was zu einer erhöhten Wahrscheinlichkeit von Krebserkrankungen und weiteren chronischen Erkrankungen führt. In vielen Fällen wurden Menschen, die in der Nähe der Testgelände leben, dauerhaft aus ihren Häusern vertrieben. Uranbergbau, Nuklearwaffenproduktionsstätten und Lagerungsorte von radioaktivem Abfall haben indigene Bevölkerungen ebenfalls stark unverhältnismäßig berührt, dadurch, dass auf politisch entrechtete Bevölkerungen gezielt wird.

Aus diesen Gründen ist eine Anerkennung der weltweiten unverhältnismäßigen Folgen von Nuklearwaffen auf indigene Bevölkerungen in der Präambel so wichtig. Genauso wie bei den geschlechtsspezifischen Auswirkungen, ist es bei den Folgen für indigene Bevölkerungen essenziell, dass Opfer und Überlebende angemessene Hilfe erhalten, um ihre Position im nuklearen Erbe zu verstehen und um ein Verbot und eine Eliminierung Nuklearwaffen weiter voranzubringen.

Wie die indonesische Delegation am Donnerstag betonte, ist es schließlich für den Verbotsvertrag wichtig, dass Nuklearwaffen als Gegenstand sowie nukleare Abschreckung als ein Konzept verboten werden. Die Anerkennung und Reflexion der entsetzlichen, diskriminierenden und unverhältnismäßigen Folgen dieser Waffen für Frauen und indigene Bevölkerungen werden dabei helfen, dieses Ziel zu erreichen. Für die Menschheit und für unseren gemeinsamen Planeten sind wir dabei, Nuklearwaffen zu verbieten.

Ray Acheson, Reaching Critical Will, „Nuclear Ban Daily 2 Vol. 2“, frei übersetzt und leicht gekürzt von Estelle Zirn (siehe www.icanw.de).

–––––> Bericht über Tag 2

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